Hier erzählen verschiedene Menschen ihre Geschichte und Erfahrung als Person auf dem aromantischen und asexuellen Spektrum und was das für sie bedeutet.
Meine Geschichte zur Asexualität beginnt früh. Ich habe bereits als Kind bemerkt, dass ich, damals noch in Sachen Händchen halten und Hochzeit spielen, anders ticke. Meine Eltern mussten mir auch erklären, wieso sich die zwei Personen im Film gerade küssen, obwohl sie doch gar nicht wirklich zusammen sind! Ich dachte auch im Teenager-Alter immer, dass Beziehungen nichts für mich sein können. Ich hatte ständig das Gefühl, dass dann etwas von mir erwartet wird: Körperliche Nähe, wie ich sie nicht mag. Mittlerweile weiss ich, dass ich nichts gegen Beziehungen an sich habe, sondern schlicht und einfach keine sexuelle Anziehung verspüre und das immer falsch gedeutet habe. Denn mit 18, 19 kam nämlich endlich die Erleichterung, als ich über den Begriff Asexualität gestolpert bin. Ich bin nicht alleine! Ich bin normal!
Tom, 24
Ich habe den Begriff Asexualität per Zufall gefunden. Es war jedoch ein langer Weg. In der Schule, als andere so langsam in den ersten Beziehungen waren, dachte ich noch ich sei einfach ein «Spätzünder». Später, als ich mich aktiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe, habe ich mich gefragt ob ich vielleicht einfach nicht auf das andere Geschlecht stehe und ich deshalb so meine «Probleme» hatte. Doch auch die Vorstellung einer sexuellen Beziehung mit gleichgeschlechtlichen Partnern fand ich nicht berauschend. Im Internet, auf der Suche nach Gleichgesinnten, traf ich auf den Begriff Asexualität. Es hat sofort „klick“ gemacht! Heute weiss ich, ich hätte gerne eine Beziehung und dabei ist mir das Geschlecht völlig egal, aber Sex? Das muss nicht unbedingt sein.
Martina, 21
Meine Geschichte mit der Asexualität beginnt holprig und endet in einer glücklichen Beziehung. Angefangen hat alles mit meiner ersten Beziehung, als ich 16 war. Mein Freund wollte, wie viele in diesem Alter so einiges Neues ausprobieren und hat mich immer wieder überredet mit ihm zu schlafen. Ich habe das für ihn gerne gemacht, obwohl ich nie ein Verlangen danach hatte. Es war nicht schlimm für mich und auch in der jetzigen Beziehung habe ich ab und zu Sex, aber sehr selten.
Was mich viel mehr gestört hat, war, dass meine Mutter und meine Freunde es einfach nicht verstehen wollten. Ich hatte eine gute Beziehung zu ihnen und redete über alles, auch über meine Beziehung und alles Drum und Dran. Keiner wollte oder konnte verstehen wieso mir «das Schönste der Welt» so gleichgültig sein kann, ja gar egal. «So eine Beziehung könne ja nicht funktionieren» Aber: Mein jetziger Freund ist nicht asexuell, versteht mich sehr, ist einfühlsam und lässt mir Zeit.
Ich bin sehr froh, dass ich mittlerweile andere Personen kennen gelernt habe, denen es auch so geht. Ich habe gelernt, damit umzugehen und weiss, dass ich nicht kaputt bin.
Fiona, 28
Wie äussert sich meine Asexualität?
Ich hatte noch nie das Bedürfnis, mit jemandem Sex zu haben. Von mir aus käme ich niemals auf die Idee, dies zu tun. Auch nicht, wenn ich verliebt bin.
Dann aber mag ich die feineren Dinge: Zärtlichkeiten, umarmen und streicheln. Auch küssen, wenn es fein und zärtlich bleibt. Feuchte Küsse und Zungenküsse finde ich hingegen nicht liebevoll.
Mit meinem ebenfalls asexuellen Partner kann ich stundenlang kuscheln und zärtlich sein, ohne dass sich ein Bedürfnis nach Geschlechtsverkehr entwickelt. Wir liegen eng umschlungen, mit viel Hautkontakt, und streicheln und küssen uns zärtlich. Stundenlang. Ich geniesse das sehr. Er auch.
Bei einem früheren (sexuellen) Partner liess ich mich auf Geschlechtsverkehr ein, weil ich mir einreden liess, das gehöre dazu und das Bedürfnis komme dann schon, wenn man es mal erlebt hat. Das Bedürfnis kam nicht, im Gegenteil: Alles Schöne von den Zärtlichkeiten zuvor wurde dabei nach meinem Empfinden zerstört. Dieses Gehopse empfand ich als lieblos, animalisch und erniedrigend. Das passte einfach für mich nicht.
Dass man dem, wie ich empfinde, asexuell sagt, erfuhr ich erst mit 46.
Zu wissen, dass ich nicht die einzige bin, die so empfindet, war eine riesige Erleichterung und Erlösung.
Ich wünsche allen jungen Asexuellen, dass sie früh davon hören und von Anfang an selbstbewusst damit umgehen können.
Sieben, w, 58
Meine erste richtige Konfrontation mit meiner Asexualität hatte ich, als ich das erste Mal in einer
Beziehung ( mit 14 Jahren) war. Nach zwei Jahren fühlte ich mich dem sozialen Druck erlegen, endlich Sex haben zu müssen, obwohl ich im Nachhinein betrachtet nie ein Verlangen danach empfunden hatte. Damit begannen die Probleme. Mein Partner verstand nicht, weshalb ich diese Intimität nie initiierte und dachte, ich würde ihn nicht attraktiv finden. Ich konnte dies nicht nachvollziehen und war verwirrt und frustriert, als Fragen aufkamen wie „Was sind denn deine Fantasien mit mir?“ und meine Antwort jeweils immer „Ich habe keine“ war. Ich konnte mich selbst in keinem sexuellen Kontext sehen und hatte kein Verlangen danach, mit einem Menschen solche Dinge zu tun, wobei es mir aber nichts ausmachte, es aus Liebe zu meinem Partner doch zu tun. Lange dachte ich, dies wäre Aufgrund von fehlendem Selbstvertrauen.
Mit 18 Jahren stiess ich auf Tumblr [Anmerkung: ein soziales Netzwerk] das erste Mal auf den Begriff Asexualität. Ich fand viele Parallelen zu der Art, wie ich meine Mitmenschen erfahre, doch ich identifizierte mich nicht mit dem Begriff. Grund dafür war, dass ich aus Liebe trotzdem zu sexuellen Aktionen bereit wäre und ich lange dachte, dass ich deshalb nicht asexuell sein kann. Des Weiteren wollte ich es nicht akzeptieren. Die moderne Welt dreht sich um Sex, meine Freunde begannen oft darüber zu diskutieren, und ich fühlte mich, als ob etwas in mir kaputt wäre. Irgendwie hoffte ich, dass ich einfach einen Fetisch hätte, den ich noch nicht entdeckt hatte. Ich dachte, dass mich kein Partner jemals wieder wollen würde.
Doch meine Meinung änderte sich mit der Zeit. In meiner Theatergruppe bildete sich eine kleine Gruppe mit LGBTQIA+ Leuten, und wir gingen gemeinsam zu einer Pride Parade, auf der sie mich ermutigten, mir die Asexuellen-Flagge auf die Wange zu malen. Dadurch wurde ich von einer Gruppe von Schweizer Asexuellen angesprochen, durch welche ich in Asexuellen-Gruppenchats geriet, in welchen ich mich mitgleichgesinnten Leuten austauschen konnte und langsam lernte, dass nichts mit mir kaputt ist. Ich outete mich bei einigen Freunden und traf auf positive Reaktionen wie „Ich wusste es.“, „Oh, jemand, den ich kenne ist auch asexuell!“ und „Ich habe auch schon überlegt, ob ich asexuell bin.“
Heute fühle ich mich sehr sicher, dass ich asexuell bin und akzeptiere, dass es ein Teil von mir ist.
Obwohl ich das tue, habe ich weiterhin Angst, dass ich wegen meiner Asexualität keinen Partner finden werde, oder neue Beziehungen daran zerbrechen würde. Doch die Sicherheit zu wissen, dass mit mir nichts falsch gelaufen ist und es viele Leute gibt, die Ähnliches erfahren, ist eine Stütze in meinem Leben, die ich nie wieder missen will.
Nani, 20
Ich habe lange Zeit lang gedacht, dass ich etwas an mir reparieren muss. Mittlerweile
weiß ich, dass das nicht so ist. Ich bin in Ordnung, wie ich bin, und muss weder sexuelle noch romantische Anziehung empfinden: ich bin
aromantisch und asexuell.
Als asexuell identifiziere ich mich jetzt seit einem guten Jahr. Ich war vorher knapp drei
Jahre in einer sehr sexuellen Beziehung, die an meiner mangelnden Lust auf Sex katastrophal
gescheitert ist. Wir haben in dieser Beziehung lange versucht, mich zu "reparieren", irgendwie meine Lust auf Sex zu
wecken und dabei z.B. auch mit Konditionierung gearbeitet. Das hat natürlich alles nicht funktioniert, und als ich dann nicht mehr
weitermachen konnte, habe ich die Beziehung beendet und bin auf Selbstfindungstrip gegangen. Dabei bin ich
auf Asexualität und die dessen Community gestoßen. Zuerst habe ich mich als grayace gelabelt. Ich glaube heute, dass ich
das nur getan habe, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass da wirklich nichts an Anziehung ist.
Heute bin ich mit dem Label asexuell komplett zufrieden.
Geoutet habe ich mich relativ schnell bei einigen Freunden, die sehr positiv reagiert haben. Nach ein paar Monaten dann auch bei meinen Eltern, die ebenfalls positiv und
verständnisvoll reagiert haben. Heute bin ich so gut wie überall geoutet, wo das Thema
aufkommt, ich gehe damit nicht hausieren, aber ich halte es auch nicht zurück.
Negative Reaktionen auf mein Outing habe
ich auch bekommen, die sind mir aber völlig
egal. Ich fühle mich nicht mehr schlecht, weil ich asexuell bin, und wenn jemand damit ein
Problem hat, stört mich das nicht - ist ja nicht meins.
Bis vor ein paar Monaten habe ich mich noch als bi/panromantisch identifiziert. Durch einige Crushes [Schwärmereien] habe ich
dann aber festgestellt, dass ich diesen Crushes sowie meinen vorherigen Beziehungspartnern gegenüber nicht anders fühle als meinen Freunden
gegenüber auch - nur intensiver. All diese Leute sind Menschen, mit denen ich mir eine tiefe Freundschaft wünsche. Durch den
Druck der Gesellschaft, dass eine romantische Beziehung mit Heirat, Kind, Haus, Auto zum normalen Lebensplan dazugehört, habe ich diese
Gefühle absolut fehlinterpretiert - nach dem Motto "omg [Oh mein Gott], die Person ist mir wichtig, also muss es romantische Liebe sein!" Dass
ich mir aber nach dem Ende der schon angesprochenen Beziehung überhaupt nicht mehr vorstellen konnte, mit einem der Crushes
eine Beziehung zu führen, war nur eines der Anzeichen die dazu geführt haben, dass ich meine romantische Orientierung in
Frage gestellt habe. Nach einer kurzen labeltechnischen (und für mich jetzt nicht mehr nachvollziehbaren, weil absolut sinnlosen) Verirrung
in die Cupioaromantik bin ich jetzt mit dem Label aromantisch absolut zufrieden und glücklich.
Ich bin bei einigen Freunden als aro geoutet, aber noch nicht bei meiner Familie. Bei denen werde ich
mich in der nächsten Zeit auch noch outen und dann auch genauso offen wie mit meiner Asexualität mit dem Thema
umgehen.
Ich fühle mich jetzt das erste Mal in meinem Leben zufrieden mit meiner Orientierung. Ich habe
akzeptiert, wie ich bin und versuche nicht mehr auf Teufel komm raus irgendwie so zu sein, wie die heteronormative Gesellschaft
es mir vorgibt. Ich bin glücklich ohne Sex und romantische Liebe in meinem Leben, und das ist ein unfassbar tolles Gefühl.
Fin, 19 Jahre (er)